Foto_Ayvalik

Brief in die Türkei

Im Sommer 2016 habe ich zusammen mit meinem Mann, dem Fotografen Quirin Leppert, ein schönes Projekt in der Türkei realisiert. Wir waren in Ayvalik an der Ägisküste, um über die dortigen Pläne von Gabi und Erdogan Altindis vom Urlaubsarchitektur- und Kulturaustauschunternehmen Manzara Istanbul zu berichten. Hier das Ergebnis unseres Besuchs an diesem besonderen Ort – ich verarbeitete unsere Eindrücke in einem Brief, Quirin hielt sie in zahlreichen Bildern fest, einige von ihnen hier ausgewählt:

Liebe Gabi, lieber Erdogan,

wisst ihr noch, wir saßen im „Argos“ auf Hamdis Terrasse am Meer. Wasser, Sonne, Wind. Frühstück. Obst, Käse, Oliven. Und ihr fragtet uns: „Na, ist das ein Ort, an dem man Urlaub machen kann?!“ Ich musste schmunzeln, denn ich wusste, die Frage war keine rhetorische. Es interessierte euch ernsthaft, wie wir das Ganze hier finden. Ob Ayvalik eine gute Idee sei für eure Dependance am Meer. Denn, in der Tat, dieses „Fischerstädtchen an der türkischen Ägäis“, biedert sich nicht gerade an. Kein weißer Strand in Sicht, keine schicke Hafenpromenade mit schnuckeligen Restaurants. Stattdessen landet man – etwa aus Izmir von der Schnellstraße 550 kommend – erstmal auf dem großen Atatürk Boulevard unten am Meer. In einem Gewühl aus hupenden Autos und dampfenden Bussen, zwischen Tankstellen, Banken und Handyläden. Realität eben, 37.000-Einwohner-Stadt. Wir waren uns bei Hamdi auf der Terrasse einig: Ayvalik ist einer dieser Orte, die sich einem nicht sofort präsentieren. Es macht sich ein bisschen rar, geizt ein bisschen mit seinen Reizen. Bekanntlich ein Erfolgsrezept in der Liebe. Wie auch immer, es ist „ein Ort für den zweiten Blick“, wie ihr es nanntet.

Also, der zweite Blick. Ich will euch erzählen, wie es Quirin und mir erging:

Kultureller Reichtum

Gerade angekommen, machen wir uns unsicher und nur bedingt erfolgreich den Stadtplan konsultierend auf den Weg zu eurem Haus 1 in der Merdivenli Sokak. Durch abenteuerlich enge, verwinkelte Kopfsteinpflaster-Gassen geht es den Hügel hinauf, vorbei an den uralten Häusern und Mauern. Wir staunen. Vor allem über die dramatisch maroden Fassaden, die von der wechselvollen Geschichte Ayvaliks erzählen – von den Griechen, die hier bis zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts lebten. Vom einstigen materiellen und kulturellen Reichtum dieser Stadt, der sich heute wieder langsam entwickelt. Nicht nur die Oliven, mit denen die Griechen schon Geld machten, sind noch da und sorgen für das Einkommen eines Großteils der Bevölkerung. Auch Boutiquehotels und Restaurants machen auf. „Es ist, als erwache Ayvalik aus einem langen Dornröschenschlaf“, erzählt uns einer, den wir kennenlernen. „Es liegt etwas in der Luft hier.“ Was ist es nur? Auf jeden Fall mehr als nur die alten Häuser. Es ist ein Gefühl, und es dringt uns direkt in die Seele ein:

Die melancholischen Rufe der Muezzine. Das Katzengejaule, Hundegeheule, Mopedgeknatter. Die klapprigen Autos, etwa Renaults aus den 70er Jahren, die wie durch ein Wunder durch die Gassen passen, sich manchmal aber auch wild ineinander verkeilen. Die Pferdkutschen, auf deren Ladefläche sich Wassermelonen türmen oder auch mal die Kutscher liegen und ein Schläfchen machen. Die Männer, die in den Cafés ihren Cay trinken und Brettspiele spielen. Die kopftuchtragenden und nichtkopftuchtragenden Frauen, die vor den Hauseingängen sitzen, häkeln und schauen was passiert. Die Kuaföre mit ihren farblich in einem Ton gehaltenen Handtüchern auf den Wäscheständern vor der Tür. Die Bäcker mit ihren Sesamkringeln und herrlich klebrigen Süßigkeiten. Die Mini-Markets und Haushaltswarengeschäfte. Die Handwerker und Antiquitätenhändler. Die Blumentröge vor den Geschäften, ausgediente Olivenölkanister, aus denen die schönsten Pflanzen sprießen. Stockrosen, Hibiskus, Wein, der die Wände hoch und über die Gassen klettert. Alles zusammen verzaubert uns.

Eintauchen in die Natur

Und das Gefühl wird noch stärker, als wir oben auf dem Hügel ankommen und nach unten blicken. Jetzt sehen wir erst, wo wir eigentlich sind. Unter uns breitet sich die Stadt mit ihren ineinander verschachtelten roten Ziegeldächern und vereinzelt empor stechenden Minaretten aus. Um sie herum prahlt eine verschwenderisch gewundene Küstenlandschaft mit zahlreiche Buchten und Inseln. Tiefblaues Meer. Wir würden am liebsten gleich reinspringen, von hier oben.

Eintauchen in die Natur. Das gehört zum Erlebnis Ayvalik dazu. Wir machen einen Ausflug ins Hinterland, ins rund 50 Kilometer entfernt liegende Bergama. Auf einer Landstraße, die die Bezeichnung „Scenic Route“ verdient hätte, dringen wir tief ein in die Olivenhaine und Pinienwälder dieser Region. Üppig, fruchtbar, fast dschungelhaft wirkt das hier alles auf uns. Tief einatmen und mehr kriegen davon, ewig könnten wir durch diese Landschaft fahren. Doch dann steht auch schon was Anderes an. In Bergama, dem früheren Pergamon, gibt es mit einer „Akropolis“ eine fantastische Ausgrabungsstätte, mit Funden aus hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit. Es ist heiß da oben, die Sonne brennt auf uns herab, als wir über die alten Steine spazieren, aber wir sind ganz fasziniert von der Antike auf dem 335 Meter hohen Tafelberg, von den Tempelresten, dem alten Amphitheater. Was hier wohl aufgeführt wurde? Ich stelle mir Menschen in langen weißen Gewändern vor, wie sie vor Hunderten von Jahren hier lustwandelten und griechischen Tragödien folgten. Ich fühle mich in diese Zeit versetzt. Und habe wieder das Gefühl: Irgendetwas ist hier, liegt in der Luft.   

Auf dem Rückweg von Bergama nach Ayvalik machen wir Stopp auf Cunda, der vor Ayvalik liegenden, über einen Damm erreichbaren Insel. Hier soll es einsame Strände geben, haben wir gehört. Wir suchen danach, begeben uns auf ziemlich holprige Sandpfade, von denen wir nicht so ganz sicher wissen, ob sie wirklich befahrbar sind und überhaupt zu einem sinnvollen Ziel führen. Doch da ist er: der Robinson-Crusoe-Strand! Mit einer Hütte aus windschiefen Brettern und mit wackeligen Stühlen und Tischen davor. Feiner Sand. Traumhaft sauberes Wasser. Außer uns ist nur noch ein Angler da. Und der Wirt. Als wir später ein kaltes Bier bei ihm trinken, fällt uns die selbstgebaute schicke Küche in seiner Strandbar auf. Sieht nach Architektenarbeit aus. Wie sich herausstellt, sind wir bei Firat, dem Architekten und eurem Bekannten! Er erzählt uns, dass er euch beim Ausbau eurer Häuser in Ayvalik half. Wir erfahren, dass er ganz viele der alten Häuser hier ausgebaut hat. Dass er jetzt einen Sommer lang Urlaub machen will in seinem Refugium am Strand. Dass er der Lebensgefährte von Tulya, der Designerin, ist. Dass Tulya die Tochter einer der bedeutendsten türkischen Kunstkuratorinnen ist, dass sie in New York studiert hat und jetzt von Ayvalik aus mit ihren Porzellankreationen die Welt erobert. Und so weiter.

Die richtigen Leute

Mehr und mehr solcher Geschichten tun sich auf, je länger wir in Ayvalik sind. Mehr und mehr verstehen wir, wer hier wie mit wem verbunden ist – und auf einmal erschließt sich uns das Prinzip Ayvalik: Einer holt den anderen hierher! Ayvalik ist eine Gemeinschaft von Eingeweihten. Von Gleichgesinnten. Von Künstlern, Kreativen, Intellektuellen aus Istanbul oder auch ganz woanders her. Firat, der Architekt, und Tulya, die Designerin. Oder auch der türkische Filmemacher Hamdi aus Wien, der jetzt das Restaurant „Argos“ unten am Wasser betreibt. Der Filmemacher Dirk aus Deutschland, der in Istanbul an der Uni unterrichtet und nun in Ayvalik seinen Platz gefunden hat. Die Kanadierin Tara, die mit Frauen aus Ayvalik aus alten Chipstüten und Kronkorken Geldbeutel und Taschen knüpft. „Einige solcher Kandidaten gibt es hier“, hören wir. Eigentlich kein Wunder, dass ihr hier gelandet seid, Gabi und Erdogan. Dass ihr euch diesen und keinen anderen Ort ausgesucht habt für euer Projekt „Manzara am Meer“:

Foto Manzara

Was im Laufe der Jahre mit Manzara Istanbul entstanden ist, diese beispiellose Verbindung von Architektur, kulturellem Austausch und Gemeinschaft, wollt ihr jetzt in Ayvalik kultivieren, habt ihr uns erzählt. Betonung auf kultivieren. Alles noch stärker machen. „Die richtigen Leute zusammenbringen“, „die geballte positive Energie von Manzara in Ayvalik aufs neue freisetzen“, so beschreibt ihr es. Eure Gäste sollen hierher kommen, nicht nur, um in einem eurer Häuser zu wohnen, sondern auch und vor allem, um zusammenzukommen. Ein Café mit Garten oder etwas Ähnliches schwebt euch vor. Gemeinsam essen, reden, sein. Wie schön.

So könnte das Leben aussehen

Manzara Ayvalik. Das volle Gefühl davon, was ihr hier vorhabt, bekommen wir schon jetzt in euren Häusern 1 und 2, die fertig gestellt sind. Wie in euren Wohnungen in Istanbul ist es euch auch hier wieder gelungen, auf wunderbare Weise Altes mit Neuem zu verbinden, etwas Einzigartiges zu erschaffen. Beide Häuser haben sich das Historische bewahrt und verblüffen gleichzeitig mit mutiger moderner Architektur und Komfort. Mit ungewöhnlichen Räumen und spannenden Kontrasten. Und natürlich: mit eurer berühmten Manzara-Aussicht! Jedes Mal, wenn wir im ersten Stock aus dem Fenster schauen, vom Bett aus am liebsten, sind wir wie berauscht. Morgens lockt das blaue Meer vor unseren Augen. Nachts lullen uns der Sternenhimmel und die Lichter der Stadt ein. Ach, ihr wisst, wovon ich spreche. Ich muss euch ja nicht eure Häuser erklären. Was ich sagen will, ist noch etwas anderes. Niklas Maak von der FAZ hat es einmal in einem seiner Texte, einer Phänomenologie des Ferienhauses, so schön ausgedrückt: „Alles im Ferienhaus ist anders. Alles im Ferienhaus sagt: So könnte dein Leben auch aussehen.“ Und eure Häuser in Ayvalik sagen: Ja, sähe unser Leben nur so aus!

Vielen Dank, liebe Gabi, lieber Erdogan, dass ihr uns hierher geholt habt. Vielen Dank, dass wir nun zu den Eingeweihten gehören. Das ist unsere Antwort auf eure Frage.

Eure Patricia mit Quirin