Foto von Rocko Schamoni

Subversives aus der Pop-Fraktion der 90er Jahre

Ein Artikel, den ich Mitte der 90er Jahre in der Abendzeitung über den Hamburger Künstler Rocko Schamoni schrieb:

„Eine Geschichte der Vergeblichkeit“

Schon als Kind war es sein Berufswunsch, Star zu werden. Doch dann ging von Anfang an alles schief. Jetzt aber, da Rocko Schamoni den Gipfel der Erfolglosigkeit überschritten hat, wird er doch noch berühmt. Der Mann, der es mit Punk und Schlager versucht hat, der Antworten auf die Fragen des Lebens an der Kunsthochschule fand und literarisches Talent bewies – heute Abend zeigt er, was er kann: nämlich vor allem komisch sein. Mit seinem Freund Schorsch Kamerun moderiert er die Buchpräsentation „Poetry! Slam! Texte der Pop-Fraktion“.

Schamoni selbst hat in einem Buch über seinen „Bappa“ geschrieben, einen großen, stolzen und ungewöhnlich schönen Inder, der sich „Bollek, die lebende Schlange“ nannte. Und über seine zwei Brüder, kleine kernige Portugiesen, über Mama und Onkel Schoffo. Eine völlig abgedrehte Geschichte darüber, was seine Familie in Saleika, einem kleinen Dorf an der Donau, alles erlebte. Mit „Koksain“ und so.

Werdegang zwischen Wahrheit und Erfundenem

Rocko Schamoni hat eine galoppierende Phantasie. So sind denn auch, wenn er seinen Werdegang beschreibt, Wahrheit und Erfundenes nur schwer auseinander zu halten. Geboren in Nantes, Frankreich, so will es die Legende, wuchs der kleine Rocko im französischen Kleinkriminellenmilieu auf. Dass er in der beschaulichen Kleinstadt Lütjenburg an der Ostsee ein mehr oder weniger erfülltes Teenagerdasein verbracht, sämtliche Schulen abgebrochen und schließlich so nützliche Tätigkeiten wie Gärtnern, Schreibmaschineschreiben, Kochen und Frisieren im Grundausbildungsprogramm des Jugendaufbauwerks der Heilsarmee gelernt hat – diese Geschichte erzählt der 30-jährige Künstler nicht, wenn er nicht direkt danach gefragt wird. Jedenfalls hat ihn, bevor er 1986 die Großstadt Hamburg eroberte, das „rabaukenhafte Leben“ damals auf dem Land sehr geprägt.

„Wir spielten Punk – wir waren wild und frisch, aber so schlecht, dass ich mir was Neues überlegen musste.“

Rocko Schamoni

Einerseits die pittoreske Landschaft der holsteinischen Schweiz mit Seen, Flüssen, Wäldern. Andererseits das ausgeprägte Bedürfnis aus der kleinen heilen Welt auszubrechen und etwas zu bedeuten. „Mit 14 habe ich meine erste Band gegründet“, erinnert sich Rocko. „Wir spielten Punk – wir waren wild und frisch, aber so immens schlecht, dass ich mir bald was Neues überlegen musste.“

Er begann also, „absurde Schlager-Songs runterzuschrabbeln“. Mit seinem Freund Partyschaum trat er unter dem Titel „Die Amigos“ auf – und die Leute waren konsterniert. Sowas hatten sie noch nicht erlebt. Schlager?! Mit seltsam sperrigen Texten? Präsentiert von zwei Ex-Punk-Rockern im selbst geschneiderten Las-Vegas-Outfit? Das passte nicht zusammen und war beispiellos gut. Das, was später durch Helge Schneider aus der Trash-Ecke auf die großen Bühnen wanderte, hat Rocko Mitte der 80er-Jahre im Grunde erfunden. Die „taz“ hält ihn unter anderem deshalb für einen ebenso begnadeten wie verkannten Entertainer: „Keiner nahm seine Genialität zur Kenntnis.“

Letztlich vor allem die Major-Company Polydor nicht, die Schamoni zum echten Popstar machen wollte, seine unverkäuflichen Alben „Jeans & Elektronik“ (1990) und „Disco“ (1991) dann aber einstampften ließ. „Eine tiefe Lebenskrise zerfurchte meine noch so junge Haut“, erinnert sich der Musiker ironisch klingend, aber doch zutiefst verletzt – war er doch an diesem Punkt in seiner Laufbahn so nah an seine Idealvorstellung von „Glattheit und gleichzeitiger Subversivität“ herangekommen.

Suche nach neuen Inhalten? Kunsthochschule!

„Ich war ausgebrannt. Ich war verlassen und alleine und suchte verzweifelt nach neuen Inhalten. Ich brauchte jemanden, der mir Antworten auf meine Fragen geben konnte, und so bewarb ich mich an der Kunsthochschule.“ So grenzenlos naiv wie sich das anhört, können Schamonis künstlerischen Beweggründe in Wahrheit nicht gewesen sein. Denn Professor Werner Büttner nahm ihn in der Hamburger Hochschule für Bildende Künste auf.
„Den ganzen Tag über malten wir Sonnenblumen“, beschreibt Schamoni die Inhalte des Studiums. Nichtsdestotrotz: „Reifer, erwachsener und älter als je zuvor“ ist Rocko jetzt zurückgekehrt, um uns zu zeigen, „wie das Leben geht, wie die Kunst funktioniert und wie man bei alldem echt gut drauf bleibt“.

Mit seiner Band – bestehend unter anderem aus dem Schlagzeuger Tex Strozda, einem Mann, „der aus sich selbst heraus geboren wurde“, sowie dem wie wahnsinnig Klavier spielenden Reverend Chd – gibt Schamoni aberwitzige Konzerte. Jedes Mal verlieben sich dutzende Mädchen und erwachsene Frauen in ihn. Obwohl sich Schamoni permanent über die Liebe lustig macht. „Ohne Liebe leben lernen“ oder „Eine Liebe wie ein Rocksong“ heißen Songs auf seinem im privaten „Studio Pudel Brillant“ eingespielten neuen Album: Ein Lo-Fi-Produkt, das sich im Gegensatz zu den Hi-Fi-Arrangements der Großindustrie durch einen deutlich hausgemachten, musikalisch teils sehr simplen Charme auszeichnet.

Trotzdem: Vielseitig ist die Platte, und symbolisiert wird das Ganze vor allem durch ein interessantes Wechselcover-Konzept. Wenn das normale Frontcover „Galerie Tolerance“ langweilig geworden ist, kann man eine andere Seite aus dem CD-Booklet nach vorne klappen. Dann heißt das Album etwa „Lalala! Hit Rock vom Feinsten“.

Portrait von Rocko Schamoni
Spannung zwischen Ernst und Humor: Künstler Rocko Schamoni mit Baby Lenja.

Laut Kritik vereint Schamoni, der mit Freundin und Baby Lenja in Hamburg lebt, auf seinem neuen Album „die Spannung zwischen Ernst und Humor zu einer überlebensgroßen Trash-Epik“. Er beherrscht es, schrottige Disco-Musik zur Kunst zu erheben.

Mainstream interessiert ihn nicht

Mainstream, wie ihn die etablierte Musikindustrie für starverdächtig hält, interessiert Schamoni nicht mehr. Er orientiert sich jetzt wieder im Underground, wo sich seiner Meinung nach ein völlig neues Kunstverständnis breit macht, wo Leute, die sich ausdrücken wollen, das ohne Regularien einfach tun, wie auch immer. „Es gibt keine festen Bereiche mehr“, sagt Schamoni, der zugleich Musiker, Schreiber, Maler und Szenefigur ist.

In seinem 1994 mit Schorsch Kamerun eröffneten In-Treff „Golden Pudel Club“ in Hamburgs Stadtviertel Sankt Pauli organisiert er Filmvorführungen, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen. Schamoni ist in seiner einem Kaleidoskop gleichenden Persönlichkeit eines der besten Beispiele dafür, wie die auf Richtlinien verzichtende und dem Lustprinzip folgende Pop-Idee alle Sparten der Kultur unterwandert und sie verändert.

Rocko Schamoni kann eigentlich von Glück reden, dass in seiner Laufbahn von Anfang an so viel schief gegangen ist. Denn wäre seine Geschichte nicht „eine Geschichte der Vergeblichkeit“, wie er selbst sie nennt, dann hätte er nie so viele Energien und so breit gefächerte Ideen entwickelt. Seinen Drang, sich immer wieder vor Publikum zu präsentieren, führt er auf „eine kleine Profilneurose“ zurück. Hoffentlich bleibt ihm die. Und hoffentlich wird er (trotzdem) nie ein Star.

Fotos: Quirin Leppert