Portraitfoto von Künstler Hermes Phettberg

Was von ganz früher

1995 auf der Seite 3 in der Abendzeitung (und danach auch in anderen Zeitungen) erschienen: ein Portrait über Hermes Phettberg, den Star der legendären ORF-Late-Night-Sendung „Nette Leit Show“ – mit Fotos von meinem Mann Quirin Leppert:

„Liebt mich!“

Überflüssige Stühle stehen bei ihm auf den Schränken. Hermes Phettberg braucht Platz. Denn in seiner Wiener Altbauwohnung stapeln sich Zeitungen, Plastiktüten, Flaschen, Cola-Dosen und Laub von seinen fünf arg vernachlässigten Topfpflanzen. Er ist ein manischer Aufbewahrer und bewegt sich auf Trampelpfaden durch die letzten fünf Quadratmeter Freifläche seiner Behausung. Er macht es sich nicht schön. Er kocht nicht, lädt keine Leute ein, putzt nicht, lüftet nicht, räumt nicht auf. „Ich bin vollkommen alleinstehend, habe nicht einen einzigen Freund“, sagt Phettberg. Stundenlang kann er einfach nur dasitzen, auf einem der letzten zwischen Kisten irgendwie erreichbaren Sessel oder auf einem Stapel Papier, zwischen Portraits von Jim Morrison, Thomas Bernhard, seiner „Mama“ und seinem „Vata“. Oft schaut er fern – „Lindenstraße“ etwa, von der er alle Folgen auf Video besitzt. Manchmal versucht er auch, mit einem Besenstiel Lektüre von einem komplett unzugänglich gewordenen Bücherbord zu angeln. Phettberg langweilt sich meistens sehr. Er hatte noch nie groß was vor. Und versinkt deshalb regelmäßig in Gedanken über das Leben. Er denkt darüber seit Jahren so gründlich nach, dass er gewaltige Depressionen davon bekam. Doch das hat sich gelohnt.

Portraitfoto von Künstler Hermes Phettberg
Große Jeans, manischer Aufbewahrer: Hermes Phettberg in seiner Wiener Altbauwohnung.

Denn für seine Abgründe wird Hermes Phettberg jetzt von einem immer breiter werdenden Publikum verehrt. Ganz unerwartet wurde der 42-Jährige, in den nach eigener Aussage noch nie jemand auch nur fünf Sekunden lang verliebt war, ein Star. Seit im Juni die vom Wiener Regisseur Kurt Palm inszenierte „Nette Leit Show“ ins österreichische Fernsehen kam, ist der beispiellose Late-Night-Talker über die Grenzen seines Landes hinaus der Kulttipp schlechthin. Fanpost, Einladungen, Fototermine, Theaterproduktionen, Interviewwünsche – alle wollen plötzlich was von ihm. „Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht“, seufzt Phettberg. Angestrengt schnaufend. Und sein in tränenden Augen satt ruhender Blick öffnet sich dabei kurz wie von innen gekitzelt. Es ist, als wache er plötzlich aus einer ewigen Meditation auf. Einerseits tut sich Phettberg, der neuesten Messungen nach mittlerweile 149,8 Kilo wiegt, schwer mit den ganzen Terminen, leidet an einem „Kommunikationsinfarkt“, wie er sagt. Andererseits ging es ihm noch nie so gut wie jetzt. „Endlich habe ich soviel Geld, dass ich in Ruhe zu Ende essen kann.“

Ein Leben von Nöten geprägt

Wie sehr für ihn das Leben bis dato von Nöten bestimmt war, lässt er nur zu gern alle wissen. Er plaudert in seiner TV-Show mit seinen Gästen darüber wie andere Menschen übers Wetter. Hermes Phettberg outet sich hemmungslos. Er ist, Zitat Anfang, fresssüchtig, schwul, untüchtig, pubertär, verstrickt, problematisiert, Sadomasochist, Anarchist, Fetischist, Moralist, Nicht-Maturant (sprich: ohne höheren Schulabschluss), er erschlägt Mäuse, lässt seine Blumen verdursten, trägt keine Unterhosen, begeht Steuerbetrug, hat kein Selbstvertrauen, kaum Sexappeal, schon mal hinter einen Busch gekackt, ein andermal einen Türsteher angespuckt, und er könnte beim Anblick eines Elefanten masturbieren, Zitat Ende. Das erzählt er den Leuten einfach so. Und es ist, als sehnte sich Phettberg danach, dass ihn endlich, endlich jemand begreift.

Portraitfoto von Hermes Phettberg
Sadomasochist, Anarchist, Fetischist, Moralist, Nicht-Maturant – all das ist Hermes Phettberg, nach eigener Angabe…

1952 als Josef Fenz in Hollabrunn geboren, wuchs Hermes Phettberg in Unter-Nalb in Nieder-Österreich als später, einziger Sohn von Weinbauern „in einer Oligarchie von Erwachsenen“ auf. Unter-Nalb und Nieder-Österreich betont er dabei, als erklärte dies seinen grundlegenden Minderwertigkeitskomplex. Auf alten Fotos lächelt einem ein bildhübscher blond gelockter Bub entgegen. Doch schon als Kind kam sich Josef Hermes Phettberg Fenz sehr dick vor – „ich hatte immer so ein Gefühl von Blähung – obwohl ich gar nicht dick war“. Und soweit er sich erinnern kann, fühlte sich Phettberg gedemütigt. Er war „ständig Schlechtester im Turnen und Basteln“ und entwickelte irgendwann einen starken seelischen Widerstand gegen Fremdbestimmung. Damit begann sein Scheitern.

Er war Ministrant, Kirchenzeitungsredakteur, Kellner, Pastoralassistent und schließlich Aktenträger in der niederösterreichischen Landesregierung. In letzterer Institution wurde Phettberg schließlich dermaßen unglücklich, dass er eines Tages zur Pensionsversicherung ging und erklärte, dass er seinen Job nicht mehr schaffe. „Und zu meiner Verblüffung haben die mich in Frühpension geschickt.“ Seit 1989 ist Hermes Phettberg als seelischer Invalide diagnostiziert. Drei Jahre lang ging er zum Psychoanalytiker. Fazit: „Wo ich aufschneide, finde ich Metastasen“, befand der Seelenarzt und schickte den Hoffnungslosen heim. Der nutzte fortan seine Verzweiflung und die viele freie Zeit für die sonderbarsten Projekte. Erste kleine Schritte auf dem Weg zum großen Ziel, das er damals noch gar nicht kannte.

„Wenn man 42 Jahre alt ist und von seiner Mutter lebt, die 82 Jahre alt ist, dann hat mein kein besonders gutes Rennomée“

Hermes Phettberg

Nachdem er 1989 „die letzte nennenswerte sexuelle Interaktion“ zu verzeichnen hatte, gab Phettberg fünf Jahre später „einer breiten Öffentlichkeit Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen“, indem er seinen nackten Körper in einer Ausstellung mit dem Titel „Auf Decken“ darbot und sich mit diversen sadomasochistischen Aktionen – etwa „Allein über Nacht angekettet“ – outete. Seine Mutter wurde, als sie von diesen Dingen hörte, sehr krank.

Das Geheimnis seiner Show: der Verblüffungseffekt

Nicht nur deshalb hat Hermes Phettberg „ein wahnsinnig schlechtes Gewissen“. Er würde auch gern endlich finanziell unabhängig sein. „Wenn man 42 Jahre alt ist und von seiner Mutter lebt, die 82 Jahre alt ist, dann hat mein kein besonders gutes Rennomée“, sagt Phettberg, dessen Erläuterungen zu seinem merkwürdigen Leben erstaunlich vernünftig klingen. Das ist auch das Geheimnis seiner Show. „Es ist der Verblüffungseffekt“, analysiert Phettberg selbst seine Wirkung. „Man würde so einem fetten, triefenden Schwein wie mir ja niemals zutrauen, dass es einen geraden Satz herausbringt.“ Dann aber präsentiert er – zum Beispiel in seiner TV-Show – seine oft in jahrelanger Kopfarbeit gründlichst durchdachten, klugen Ansichten. „Und plötzlich sind die Leute konsterniert! Bis sie sich gefangen haben, ist die Dreiviertelstunde vorbei. Und nächste Woche sind sie frisch wieder perplex.“

„Woin S‘ an Eierlikör oder a Frucade?“, fragt der auf relativ schlanken Beinen ein bisschen wie ein Schiff wankende Talkmaster seine Gäste zur Begrüßung. Dann holt er ein Zettelchen aus einer recht abgegriffenen, beigen Börse, spickt kurz nach seinen Stichworten und setzt weihevoll zum Gespräch an. „Herr Professor“ nennt er seine Gäste am liebsten – egal, ob sie’s sind oder nicht. Und dann erörtert er mit ihnen Themen wie Lebensfreude, Hundekot oder Mittagschlafen. „Einen Moment, ich beginne gerade darüber nachzudenken“, pausiert er mittendrin im Gespräch. Oder: „Ja, ja, is‘ eh klar“, signalisiert er mit freundlichem Blick Verständnis. Er kommuniziert so angenehm untrainiert, so aufrichtig von Mensch zu Mensch, dass es eine Freude ist. Manchmal entwickeln sich aus diesen Gesprächen richtige philosophische Abhandlungen wie etwa der „Sackerl-Komplex“, bei dem sich Phettberg mit dem seriösen Opernfachmann Marcel Prawy über die hohe Kunst der Ordnung durch Plastiktüten unterhielt.

Das sind Sternstunden der „Nette Leit Show“. Für derart Skurriles, das seinen Reiz in der Alltäglichkeit hat, lieben die Zuschauer Phettberg. Dieser ungewöhnliche Mann, mit dem sich kein Mensch wirklich vergleichen möchte, präsentiert, was jeder kennt, aber keiner an sich selbst akzeptiert: Schwächen. Und es gelingt Phettberg, dem Abgründigen Würde zu verleihen. „Sogar die erzkonservative Kronen-Zeitung findet dich inzwischen entzückend“, ließ der „Nette Leit Show“-Regisseur Palm seinen Vertragspartner Phettberg wissen. Ansonsten ist Palm, der Phettberg auch schon in seiner Wiener Underground-Theatergruppe „Sparverein Die Unzertrennlichen“ mitspielen ließ, eher sparsam mit Lob: „Ich interessiere mich für Adalbert Stifter und nicht für Sadomaso“, so der Regisseur, „und ich bin auch nicht mit Hermes befreundet. Ich benutze ihn als Objekt, er mich als Manager“. Klingt brutal. Doch etwas Besseres als Palm konnte Phettberg eigentlich nicht passieren.

Denn mühsam hat Phettberg bisher immer schon versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Doch den großen Durchbruch hat er allein nicht geschafft. 66 Kleinanzeigen gab er in der Wiener Stadtzeitung „Falter“ auf – wortreich gestand er darin einem anonymen Wiener Buchverkäufer seine Liebe. Zwar fielen die Inserate auf, und Phettberg bekam eine Kolumne: In einem wöchentlichen von ihm so genannten „Predigtdienst“ konnte er nun seinen inneren Widersprüchen zwischen „christlich und geil“ freien Lauf lassen. Doch erst der Regisseur Palm ersann für Phettberg das richtige Format. Vom Inserat zur Kolumne zum TV-Star. Seit Phettberg sein Leben für die Zuschauer live auf die Bühne bringt, weiß er, wo er hingehört.

Jetzt macht es Sinn, dass er „jedes Furzerl“ seiner Existenz aufbewahrt, zur späteren Veröffentlichung archiviert hat. Jetzt hat Phettberg endlich etwas vor: die umfassende Inszenierung seiner ganz privaten Person. Hoffte er noch bis vor kurzem, er werde „vielleicht doch abmagern und im Alter einen Partner finden“, so hält er sich mittlerweile nicht mehr mit dem Unwahrscheinlichen auf. Er will jetzt nur noch geliebt werden. Und zwar von allen.

Telegramm von Hermes Phettberg
Lob aus Wien – Telegramm von Hermes Phettberg

* Auch dem Portraitierten selbst gefiel der Bericht: „FUER DIESEN SCHOENEN UND EHRENDEN BERICHT VIELEN HERZLICHEN DANK ERGEBENER PHETTBERG“, teilte Hermes Phettberg mir und meinem Mann Quirin Leppert (der die Fotos gemacht hatte zu dem Bericht) noch am Tag des Erscheinens mit – per Telegramm, dem damaligen Kurznachrichtendienst der Deutschen Post 😉